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  • AutorenbildDaniel Bani-Shoraka

Die richtigen Worte finden – Die richtigen Konsequenzen ziehen

Anmerkungen zur Gedenkveranstaltung zum 9. November im Klösterchen/ Rathaus


Zum 85. Mal jährte sich die sogenannte „Reichspogromnacht“ an deren Ende ca. 3000 Menschen umgebracht, hunderttausende Menschen gequält, vergewaltigt und anderswie gedemütigt wurden. Die meisten Synagogen, Geschäfte und Wohnungen der Deutschen jüdischen Glaubens waren zerstört, geplündert und ausgeraubt. Es wütete der „braune Mob“ und ein großer Teil der deutschen Gesellschaft schaute weg oder machte z.T. sogar mit. Zu wenige protestierten.

Der sog. Zivilisationsbruch, der in der Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden mündete, fand hier eines der früheren Infernos.

Den Opfern zu gedenken und gegen das Vergessen anzugehen – das ist sicherlich Motivation vieler deutschlandweit stattfindender Gedenkveranstaltungen.


Letzten Donnerstag konnte der Verfasser aber einem besonders gelungenen Beispiel gelebter Erinnerungskultur beiwohnen, das würdig im Gedenken an die Opfer aber auch packend uns Heutigen gegenüber war.

Zentral waren die Lesungen aus Briefen und Tagebüchern über Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Wünsche damaliger jüdischen Mitbürger*innen. Viele der Verfasser*innen überlebten das Morden nicht. Sie zu hören und ihre Gesichter zu sehen, brachte sie wieder zurück.

Es sei angemerkt, dass eine Lesung, auch wenn sie dokumentarisch intendiert ist, eine Form darstellender Kunst ist und das gelang den Vortragenden auch mit Hilfe musikalischer Unterstützung ernst, einfühlsam und würdig.

Spannend waren die Erfahrungsberichte einiger Schüler*innen, die jüngst eine freiwillige Gedenkstättenfahrt in das Vernichtungslager Auschwitz unternahmen. Sie schilderten ihre Eindrücke und reflektierten tiefgründig über das Erfahrene.

Diese ernste Neugierhaltung, mit der sie das „dunkle“ Kapitel der dt. Geschichte betraten, schafft tröstliche Gegenpole zu den Tendenzen revisionistischer Umdeutung durch schamlose Rechtsradikale.

Berührend und begeisternd war das selbstverfasste und im poetryslamistischen Stil vorgetragene Gedicht „Ich bin ein Mensch!“

Die Hinwendung zu der leider so häufig vergessenen, so einfachen aber doch absoluten Wahrheit, dass wir Menschen alle gleich sind und bei aller Unterschiedlichkeit das Gemeinsame – die Menschlichkeit im besten Sinne – Basis für jede gute Erinnerungskultur sein muss – vielmehr ohne sie eine Erinnerungskultur ihres Wesens beraubt ist – das war die Leistung des Gedichts! Überzeugen Sie sich selbst (s. Anhang).


Letzten Donnerstag konnte ein Gedenken genossen werden - moralinarm, ohne forcierte Betroffenheit, mit Weisheit, klug und gekonnt - wofür ca. hundert Menschen kalter Nässe trotzen.

Eingerahmt war sie in wohltuend differenzierenden Reden, die sich unbeeindruckt von der derzeitigen Antisemitenschuldzuweisungstoleranzistnichtselbstverständlichapologesedebatte zeigten.

Zahlreich waren die Mitwirkenden vor und hinter der Bühne bzw. Zeltes und ihre Beiträge, deren namentliche Nennung den Rahmen sprengen würde. Einen Applaus haben sie aber alle verdient! Nicht unerwähnt darf aber bleiben, dass es v.a. die Jugend war, hier unsere Schüler*innen aus Mittel-und Oberstufe des SGH, die die richtigen Worte fand.


Gedicht von Marie-Elise Tangombe


Ich bin ein Mensch!

Ich bin ein Mensch, eine Freundin, eine Schwester, eine Tochter

Ich bin ein Mensch, mit Pflichten, mit Rechten und Verantwortung

Ich bin ein Mensch, ich bin männlich, ich bin weiblich, ich bin reif, ich bin albern, ich bin langweilig, ich bin lustig

Ich bin ein Mensch, ich bin schwarz, ich bin weiß,

ich bin eisern kalt, glühend heiß

Ich bin ein Mensch, mit vielen Facetten, mit vielen Fassaden: Hell, dunkel, klein, groß, alt, jung


Ich bin ein Mensch und höre „Wir wollen dich hier nicht haben du…“!.


Da traue ich meinen Ohren nicht

Haben sie vergessen die tragische G'schicht?


Ich bin ein Mensch, ich werde geliebt, ich werde gehasst. Werde ich gehasst?

Ich bin ein Mensch, ich bin Christ, ich bin Jude, ich bin Moslem, ich bin Buddhist.

Ich bin alles und ich bin nichts.

Ich bin ein Mensch!


Jude.

Jude!

Juuuudeeen raus (haben sie gebrüllt) und nähten den Stern auf die Jacke und malten den Stern auf das Haus.

Da wohnt ein Jude, das ist ein Judenhaus. Juden raus!

Juden rein. In die Ghettos, die Viehwaggons, die Lager.

Juden raus.


Ent-eignet,

Ent-rechtet,

Ent-menschlicht,


Ge-foltert,

Ge-tötet,


Ver-achtet,

Ver-stoßen,

Ver-gast,

Ver-nichtet.


Und wieder: "Wir wollen Dich hier nicht haben, Du...!"

„DU…!“,

„Du gehörst hier nicht hin. Du gehörst nach ... Du gehörst in die …!“,

„Ich würde dich am liebsten…!“


Ich bin ein Mensch!

Ich möchte nicht hassen. Ich möchte nicht gehasst werden!

Ich möchte lieben und geliebt werden!

Und wenn nicht das, dann mögen und gemocht werden

für das, was ich bin und nicht ändern kann: Ein Mensch zu sein!


Mit Ängsten, Wünschen und Träumen

und einem Leben. Eines!


Fotos: Bert Vohn

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